47 Jahre nach „Der Pate“, 45 Jahre nach Robert de Niros Auftritt in „Der Pate II“, 29 Jahre nach „Goodfellas“, 24 Jahre nach „Casino“, 13 Jahre nach „The Departed“. Die Ära der Mafiafilme schien bereits hinter uns zu liegen, doch jetzt holt der Altmeister zum letzten großen Schlag aus. „The Irishman“ ist ein Gangsterepos, über den bereits im Vorfeld sehr viel gesprochen wurde. Möglicherweise sogar etwas zu viel. Weniger Trubel, hätte dem Film sicher nicht geschadet.
Ein herausragender Cast
Wenn sich die Altriege der großen Mafiadarsteller um Robert De Niro, Al Pacino und Joe Pesci zum sehr wahrscheinlich letzten Mal wiedervereint und dann auch noch Hollywoodlegende Martin Scorsese höchstpersönlich auf dem Regiestuhl Platz nimmt, kann man diesen Film verständlicherweise einfach nicht leise bewerben. Die größte Überraschung war für mich die Nachricht, dass Joe Pesci (u.a. „Goodfellas“ und „Kevin allein zu Haus“) im Cast bestätigt wurde. Eigentlich hatte er dem Filmgeschäft bereits längst abgeschworen und so bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit von seinen alten Freunden De Niro und Scorsese. Vor mehreren Jahren kursierten wöchentlich Nachrichten, ob Pesci nun an Bord sei oder nicht. Zur Freude aller, hat er letztendlich doch zugesagt.
Ein Kinoverfechter auf Abwegen
Die nächste große Überraschung war die Information, dass „The Irishman“ eine Netflix Produktion sein wird. Martin Scorsese – der sich zuletzt stark mit den Marvelfilmen anlegte („Das sind keine echten Kinofilme“) und sie sogar als „abscheulich“ bezeichnete, der immer als großer Verfechter des Kinos galt – wird den längsten Film seiner Karriere für einen Streamingdienst machen. Ja, natürlich lief der Film kurz vor Netflixstart auch in ausgewählten Kinos, um ihn für die Oscars zu qualifizieren, aber abgesehen von der Presse und eingefleischten Fans wird wohl niemand mehr in den Genuss kommen, „The Irishman“ auf der großen Leinwand zu sehen. Scorsese bittet euch allerdings darum, den Film nicht auf dem Handy zu schauen, sondern auf einem großen Bildschirm und die Anleitungen, wie man das 3,5 Stunden-Monster in kleine serienartige Teile zerstückeln kann zu ignorieren. The Irsishman soll am Stück genossen werden. Daran habe ich mich gehalten, aber ganz ehrlich, wer für Netflix produziert, muss sich auch den Sehgewohnheiten anpassen.
Eine völlig neue Technik
Zu guter Letzt gibt es noch einen Punkt, der den Film über Auftragskiller Frank Sheeran zu etwas besonderem macht. Erstmals wurden die Darsteller in einem Großteil der Szenen um ein Vielfaches digital verjüngt. Dabei wurde sogar eine völlig neue Technik eingesetzt, als die, die wir bereits aus Marvel’s Infinity War kennen. Das ist auch durchaus logisch, schließlich folgt der Zuschauer den Darstellern in verschiedenen Zeitebenen aus dem Leben von Robert De Niros, Frank „The Irishman“ Sheeran und seinen illegalen Machenschaften für die Mafia. Die Geschichte basiert auf dem Buch „I heard you paint houses“, eine Anspielung auf die Tatsache, dass bei einem Kopfschuss viel rote Farbe verteilt wird. Frank Sheeran war bereits in Diebstahl und Betrug verwickelt, bevor er auf den von Joe Pesci gespielten Mafiaboss Russel Buffalino trifft, doch von da an steigt seine Bekanntheit innerhalb des Gangstermillieus rasant an, während seine Verbrechen um einiges schlimmer und kaltblütiger werden. Irgendwann bekommt er den Auftrag den damaligen Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa (Al Pacino) zu treffen und fortan für seine Sicherheit zu sorgen. Die beiden werden im Laufe der Jahre sehr gute Freunde, bis sich Hoffa mit den falschen Leuten anlegt und ausgerechnet Frank den Auftrag bekommt Jimmy zu erledigen.
Es ist wie es ist.
Direkt im ersten Shot bekommt man bereits mit, warum dieser Film eine Laufzeit von 3,5 Stunden aufweist. Nach einer langen Kamerafahrt begegnen wir Frank im Altenheim zwischen kartenspielenden Senioren und wöchentlichen Bingoabenden. Das einst imposante Leben ist schon längst vergangen, und da Franks letzte Tage bereits gezählt sind, ist er bereit die ganze Geschichte über seine Verbrechen Preis zu geben.
Da im Vorfeld schon so viel über die CGI-Technik gesprochen wurde, fragt man sich schon von Beginn an in jeder Szene, ob sie digital bearbeitet wurde oder nicht. Da Scorsese völlig darauf verzichtet Jahreszahlen einzublenden, muss sich der Zuschauer anhand des digitalen Alters der Figuren orientieren, in welcher Zeitebene wir uns gerade befinden. Das macht es nicht ganz einfach dem Film zu folgen (die Technik ist zwar sehr realistisch, bei weitem aber nich perfekt). In den unterschiedlichen Zeiten, die meist Erzählungen innerhalb Erzählungen von Erzählungen sind, tauchen immer wieder neue Gesichter auf, deren Zuordnung nicht ganz leicht fällt. Aber insgesamt macht Scorsese das, was er am besten kann: eine ausschweifende Gangstergeschichte erzählen.
Der Forrest Gump unter den Mafiafilmen
The Irishman ist ein Mafiafilm, der sich eher gemächlich entfaltet. Liebhaber des Paten werden auf jeden Fall ihren Gefallen daran finden. Joe Pesci spielt einen bei Weitem nicht so blutrünstigen Mistkerl wie in Goodfellas, was das Hauptargument gewesen sein dürfte, um ihn aus dem Ruhestand zurück zu holen. Al Pacinos Gewerkschaftsboss ist natürlich weit von der extravaganten Darstellung eines Scarface entfernt aber immerhin wurde ihm die ein oder andere Szene gegönnt, in der er anderen ins Gesicht schreien durfte. Zu De Niro braucht man kaum etwas sagen, er liefert gewohnt großartig ab. The Irishman reiht sich, wie bereits angedeutet, nahtlos in Glanzstücke wie „Casino“, „Goodfellas“, „Heat“ oder „Der Pate“ ein. Menschen, die damit wenig anfangen können, werden während des Film sicherlich mit dem Einschlafen zu kämpfen haben, denn als rasant kann man ihn nun wirklich nicht bezeichnen. Für alle, die wieder in die Welt eines Mafiaepos eintauchen wollen und sich dafür auch gern mal einen kompletten Abend ohne Handy einrichten, ist es genau der richtige Film. Ich wurde sehrgut unterhalten! Insbesondere die erste Hälfte verging schneller, als ich es gedacht hätte (auch wenn man dem Film gewisse Längen nicht absprechen kann). Immerhin passiert im gesamten Film so viel, dass es schwer fällt, zu glauben, dass Frank in dermaßen viele Ereignisse der damaligen Zeit verwickelt gewesen ist. Wie viel Wahrheit darin steckt muss jeder selbst entscheiden (oder gelegentlich doch mal fix mit dem Handy nach Jimmy Hoffa googlen). Einem Forrest Gump nimmt man schließlich auch nicht übel, dass er sowohl Elvis seinen Signature-Move beigebracht hat, als auch das Joggen und den Smiley erfunden hat.
(4 / 5)