Speak no Evil: Red Flags und James McAvoy

Hallo lieber Blog,

Heute auf dem Seziertisch: Speak No Evil, das amerikanische Remake.

Das dänische Original aus dem Jahr 2022 scheint so gut zu sein, dass Hollywood nicht lange gefackelt hat. Sollte ich mir vermutlich tatsächlich mal anschauen. Aber stattdessen sitze ich in der Sneak von James Watkins Remake. Der Typ, der die Black Mirror Folge geschrieben hat, in der Online-Erpresser einen Jungen dazu bringen eine Bank auszurauben und einen anderen Typen zu verkloppen, packt hier wieder ordentlich Verstörung aus.

Mackenzie Davis und Scoot McNairy als Louise und Ben wollen mit ihrer Tochter Agnes einen netten Italien-Urlaub verbringen. Das Risotto kostet 49€, aber wer achtet im Urlaub schon auf den Preis? Doch beim netten Dolce Vita bleibt es nicht. Bei der Begegnung mit Paddy (James McAvoy) und Ciara (Aisling Franciosi) hagelt es schneller Red Flags, als man „Ciao Bella“ sagen kann.

„Das wird nett“

Im italienischen Flair sind Louise und Ben zunächst beeindruckt vom unkonventionellen Lebensstil der beiden. Wer würde dem Wir-tun-was-wir-wollen-das-Leben-ist-kurz-Lifestyle nicht verfallen? Aber spätestens als Paddy auf eine kleine Vespatour durch die Stadt mit ihrer Tochter besteht, könnte man hellhörig werden. Aber was machen Ben und Louise? Natürlich – sie tun nichts. Was soll man von Menschen, die keinen Fernseher besitzen auch erwarten… Wahrscheinlich haben sie keinen einzigen Horrorfilm gesehen und erfüllen deshalb so enorm viele Klischees. Aber ich greife vor.

Zu Paddys bemerkenswertesten Fähigkeiten gehört nicht nur, wie spontan er lügen kann, sondern noch viel mehr, wie unterhaltsam er dabei ist. (Brötchenbauch und Größer Löffel Diskussionen waren gestern! Im nächsten Freundeurlaub wird das Toilettenpapier-Protokoll ausgewertet!)

Der Urlaub vergeht und für Ben und Louise kehrt der Alltag zurück. Ach ja, die beiden wurden doch eingeladen. „Das wird nett“, sagt Louise, die scheinbar in einer alternativen Realität lebt, in der es eine gute Idee ist, zu wildfremden Menschen in die Wildnis zu fahren. Spoiler: Es wird nicht nett.

Es dauert nicht lange, bis die beiden feststellen, dass Paddy und Ciara nicht gerade die Leute sind, mit denen man ein Wochenende verbringen will. „Sie sind keine besonders angenehme Gesellschaft“ – danke, Captain Offensichtlich. Zwischen Paddys harschem Umgang mit seinem eigenen Sohn und der „latent“ aggressiven Atmosphäre im Haus fragt man sich eigentlich nur: Wann hauen die endlich ab? Und dann – fahren sie tatsächlich.

Aus.

Film zu Ende.

Korrekt?

Nope. Wir haben ja schließlich noch nicht alle Horror-Checkboxen abgehakt.

Spannung trotz Klischee-Bingo

Was „Speak No Evil“ jedoch besonders macht, ist die Art und Weise, wie die Bedrohung aufgebaut wird. Es ist kein plumper Slasher-Film mit Jumpscares alle fünf Minuten. Stattdessen setzt Watkins auf eine schleichende, fast greifbare Spannung, die sich langsam aufbaut. (möglich, dass er sich das aus dem Original geliehen hat – who knows?)

Die Interaktionen zwischen den Familien sind geprägt von subtilen Mikroaggressionen und passiv-aggressivem Verhalten. Paddys charmante Fassade bröckelt immer wieder, nur um sofort wiederhergestellt zu werden. Es sind diese Momente, in denen McAvoy brilliert – ein Blick, eine Handbewegung, eine leichte Veränderung im Tonfall. All das trägt dazu bei, dass wir als Zuschauer spüren: Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.

Unter der Oberfläche des Horrors lauert außerdem eine scharfe Gesellschaftskritik. Der Film spielt geschickt mit dem Umgang von anderen Gesellschaftsschichten und wie man von anderen wahrgenommen wird. Er hinterfragt unsere Höflichkeitskonventionen und wie weit wir gehen, um „nett“ zu sein, selbst wenn unser Bauchgefühl Alarm schlägt.

Gleichzeitig zeigt „Speak No Evil“ die Gefahren der Passivität auf. Ben und Louise sind Paradebeispiele für Menschen, die Konflikte um jeden Preis vermeiden wollen. Sie ignorieren die Warnsignale, weil es einfacher ist, nichts zu sagen, nichts zu tun. Eine Haltung, die in unserer heutigen Gesellschaft leider allzu verbreitet ist.

Im letzten Akt wird es nochmal richtig spannend, obwohl wir alle wissen, was jetzt kommt. Es gibt die klassischen „Nein-Geh-da-nicht-rein“-Momente, wo man sich fragt, warum die Leute immer auf den Dachboden flüchten, wenn sie verfolgt werden. Horrorfilm-Logik, oder wie ich sagen würde: Darwin-Award-Material. Auf unerklärliche Weise schafft es Watkins trotzdem, dass ich spannungsgeladen bleibe, obwohl jeder weiß was kommt.

Die Kameraführung trägt ihren Teil dazu bei. Lange, ungeschnittene Einstellungen lassen uns die Anspannung der Charaktere förmlich spüren. Die Musik, oder besser gesagt, das Fehlen von Musik in kritischen Momenten, verstärkt das Gefühl der Isolation und Hilflosigkeit.

Am Ende bleibt die Erleichterung, dass Louise und Ben einen Tesla fahren. Wär’s der Cybertruck gewesen, hätten wir hier wohl eine ganze andere Horrorstory.

Speak some Evil

Ich würde gern sagen, dass Speak No Evil ein solides Remake ist, aber das kann ich leider nicht, weil ich das Original noch nicht gesehen habe und daher nicht weiß, wie viel einfach abgekupfert wurde. Was ich weiß, ist dass das Original sich beim Ende wesentlich mehr traut als Hollywood.

James McAvoy liefert aber komplett ab. Was dieser Mann in winzigen Nuancen mit seinem Gesicht ausdrücken kann ist unfassbar. Seine Darstellung von Paddy ist ein Meisterwerk der Subtilität. Er schafft es, gleichzeitig charmant und bedrohlich zu wirken, freundlich und doch irgendwie „off“. Es ist eine Rolle, die leicht hätte überspielt werden können, aber McAvoy findet genau die richtige Balance.

Aber auch der Rest des Casts verdient Anerkennung. Mackenzie Davis und Scoot McNairy spielen die gutgläubigen, konfliktscheuen Eltern perfekt. Ihre langsame Realisierung, dass etwas nicht stimmt, ist glaubwürdig und erschreckend zugleich.

Empfehlung? Ja, aber nur für Fans von psychologischem Horror und Leuten, die gern den Protagonisten zurufen, was sie nicht tun sollen. Eines ist sicher: Nach diesem Film werdet ihr eure nächste Urlaubsbekanntschaft mit ganz anderen Augen sehen. Und vielleicht auch euer eigenes Verhalten in unangenehmen Situationen überdenken. Denn manchmal ist es eben doch besser, den Mund aufzumachen – speak some evil, sozusagen.

Speak no Evil: Red Flags und James McAvoy

Beitragsnavigation


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert